Von Nathalie Bergdoll hatte ich bis
heute übrigens noch nichts weiter gehört; die Autorin war mir
gänzlich unbekannt, aber beim heutigen Autoren-Vita-Abgrasen habe
ich gelernt, dass man ihr durchaus schon eine gewisse Prominenz
zugestehen kann. Der ein oder andere von euch wird also durchaus
schonmal von ihr gehört haben, aber ich habe nun nicht das Gefühl,
mich schämen zu müssen, weil sie mir auch nach meiner Googelei
nicht weiter bekannt vorkommt.
Nathalie Bergdolls Debütroman
„Hochgefickt“ trägt zwar diesen durchaus provokativen Titel, der
aber mehr lasterhafte Orgien voller Skrupellosigkeit verspricht als
tatsächlich im Buch vorkommen: „Hochgefickt“ ist kein schamloser Sexroman oder Ähnliches und mit Charlotte Roches Büchern verglichen
quillt „Hochgefickt“ nur so vor Anstand und Moral über. Denn
Jacqueline, die Protagonistin, hat sich lediglich offiziell
verstohlen geflüstert „hochgefickt“, während sie sich aber
tatsächlich ganz raffiniert in die Medienwelt gemogelt hat...
„Hochgefickt“ - nee, war doch ganz anders!
Jacqueline Grosse ist weitgehend im
Friseursalon der Mutter in der Eifel aufgewachsen, wo sie, fasziniert
vom dort ausliegenden bunten Blätterwelt, schnell davon überzeugt
war, es auch in diese Boulevardmedien schaffen zu wollen. Dank ihrer
ausgeprägten Intelligenz verstand sie schnell, dass ihre
ausgeprägten Merkmale ihr hierfür von Nutzen sein – und dass
Gerüchte durchaus hilfreich sein könnten... So wird sie nach ihrem
Abitur von der Schützenkönigin zur Werbeartikelverteilerin auf der
Tour einer just populären Band, die erst zur Freundin und dann zur
Ex-Freundin eines der Musiker wird – bis aus Jacqueline letztlich
Lina Legrand, besser bekannt als „Luder-Lina“, wird, der von der
yellow press ein ausschweifendes, zügelloses Sexualleben bescheinigt
wird, die laut Schlagzeilen nur allzu bereitwillig mit den Grossen
und Mächtigen in die Kiste hüpft. Lina nutzt die, zumeist von ihr
sorgfältig gestreuten, Gerüchte, um ihre eigene Karriere kräftig
anzustupsen. An der Seite eines Fussballers wird sie zu einem der
grossen Lieblinge der Medien, aber als sie mitunter die Schlagzeilen
beherrscht, merkt sie, wie das oberflächliche und falsche Getue des
Medienmilieus sie immer mehr anödet und verliebt sich zudem auch
noch in einen „No-Name“, aber wie soll aus der skandalträchtigen
Sexbombe nur wieder das normale Mädchen von nebenan werden und von
was soll sie zukünftig ihren Lebensunterhalt bestreiten? Ein
ausgeklügelter Ausstiegsplan muss her, aber wie schon gesagt:
Jacqueline Grosse ist eine intelligente Frau...
„Hochgefickt“: Latti hat`s gelesen
Okay, die Autorin besitzt trotz meiner
Unwissenheit offensichtlich eine gewisse Medienpräsenz, aber allzu
autobiografisch scheint „Hochgefickt“ dann doch nicht zu sein.
Wenn es Lina Legrand gibt, ist sie meiner Meinung nach nicht
identisch mit Nathalie Bergdoll, denn Lina Legrand erlangt letztlich
national echte Berühmtheit. Die Geschichte spielt in den 90ern und
insgesamt ist Lina Legrand eine ziemliche Mischung aus Jenny Elvers
und Verona Feldbusch, mit Einschlägen diverser „It-Girls“ der
damaligen und heutigen Zeit. Im Vorwort versichert Autorin Nathalie
Bergdoll, dass die Geschichte keinen Anspruch auf Echtheit erhebt,
lässt aber durchblicken, dass es die meisten Promis, welche hier
auftauchen, tatsächlich gibt, diese aber in Sachen Namen, Beruf,
Aussehen, spezielle Eigenheiten etc. wild durchmischt worden sind.
Das führt dazu, dass man ständig überlegt (und zumeist auch gleich
zu wissen meint), welcher Promi mit welcher Figur gemeint ist – und
dass man sich teils auch wundert, weil man jemanden sicher zu
enttarnt haben meint, sich den so privat aber anders vorgestellt
hätte. Manchmal nickt man aber auch, weil man sich in seinem „Boah,
was ein Idiot!“-Vorurteil bestätigt sieht.
Lediglich im Fall der rappenden
Girlie-Band mit Rotlicht-Vergangenheit und erhängtem Ehemann, welche
mit einer sagen-/skandalumwobenen Pressekonferenz Furore machte, war
es mehr als offensichtlich, dass hiermit Tic Tac Toe gemeint waren.
Aha-Effekt: Lina Legrand bestätigt hier durch die Blume, dass die
ganzen Skandale um die Pressekonferenz herum sorgfältig inszeniert
und jede „Enthüllung“ geplant war...
Ohnehin könnte „Hochgefickt“
ebensogut „1000 Gründe, die Boulevardpresse komplett zu
ignorieren“ oder „Die yellow press verbreitet prinzipiell nie die
Wahrheit“ oder ähnlich heissen. So stellt Lina Legrand noch als
kleine Jacqueline im mütterlichen Friseursalon fest, dass die
Kundschaft sich mit Vorliebe das Maul über die Personen zerreisst,
die in den bunten Blättern auftauchen, erst von Neid auf deren
Luxusleben geprägt und später gerne von Häme, wenn es den VIPs
dann mal schlechter geht... Dementsprechend ist die grosse Lina
später lapidar der Meinung, dass man denen, die schon recht viel
Geld für so ein Klatschblatt ausgeben, doch auch etwas für ihren
Sozialneid bieten muss – und lügt die Medien einfach mal an, die
ihren Konsumenten später eine noch viel grössere Lüge auftischen.
Die Boulevardpresse kommt hier denkbar
schlecht weg; wie gesagt: die Handlung spielt in den 90ern und in
dieser Zeit ist nunmal auch Lady Di gestorben. Da spricht Lina, die
in „Hochgefickt“ dem Leser ihre persönliche Geschichte erzählt,
auch mehrmals offen an, wie verlogen es doch von den Medien war, eine
Diskussion darüber anzuzetteln, wie intensiv man über Prominente
berichten dürfte, nachdem der Wagen der Prinzessin doch auf der
Flucht vor Paparazzi verunglückt sei – wohlgemerkt: vor Paparazzi,
die von ebendiesen Medien erst mit einem Heidengeld entlohnt
werden... Darüber sprach natürlich niemand: sowas tun doch
prinzipiell immer nur die Anderen.
Insgesamt bietet „Hochgefickt“ aber
einen guten Einblick in den schönen hässlichen Schein der Medienwelt: Lina
erklärt haarklein, wie ihre jahrelange Traumbeziehung mit dem
Fussballstar von vorne bis hinten inszeniert war, ohne dass je
Zweifel an deren Authenzität laut wurden; wie man ihr nahelegte,
sich einen kleinen „Fehler“ wie Lispeln nahezulegen, damit man
sie prinzipiell unterschätzen würde (tatsächlich erlebt sie später
einen ziemlichen Triumph als sie zum ersten Mal grammatikalisch
korrekt spricht) und es wird besonders skurril, als sie öffentlich
einen Schönheitschirurgen für dessen gute Arbeit lobt, obschon sie
sich nie hat operieren lassen, aber an die Echtheit ihrer Oberweite
glaubt eh niemand... Es wird quasi offensichtlich, dass der Grossteil
der Prominenz eh nur auf Lügen und Unterstellungen beruht;
Gerüchten, die einer über den Anderen streut. Was Glamour und
Glitter angeht, ist es doch sehr desillusionierend...
Im gesamten Roman gibt es eigentlich
unter den Stars und Sternchen niemanden, der wirklich etwas kann,
sondern fast nur Menschen der Sorte „so tun als ob“. Echt wirken
hier nur die Leute ganz hinten hinter den Kulissen, die, die es nie
die Schlagzeilen schaffen, was Linas Meinung vonwegen „man muss den
Leuten da draussen nur ne grandiose Show bieten“ vollends bestätigt
und meiner Meinung nach ein wenig beängstigend ist. Denn ich glaube,
dass sich hier auch im letzten Jahrzehnt nicht wirklich was geändert
hat: aber wollen wir wirklich so oberflächlich sein, dass es uns nur
interessiert, wie sich irgendjemand gibt, aber nicht, wie er
tatsächlich ist? Wieso lästern wir beim Friseur lieber über uns
eigentlich total fremde Menschen aus dem bunten Blätterwald anstatt
uns mit ihm über das Stadtfest zu unterhalten (oder ziehen über die
angeblich ach so miesen Arbeitsbedingungen bei Amazon her anstatt ihn
zu fragen, wie hoch denn sein Stundenlohn ist)?
Von daher erzählt „Hochgefickt“
zwar in erster Linie eine sehr oberflächliche Geschichte, zeigt aber
auch auf, welche Abgründe sich hinter dieser medial werbeträchtitg
aufgearbeiteten Oberflächlichkeit verbergen. Durch ihre offene Art
wurde mir Jacqueline im Laufe der Geschichte immer sympathischer,
auch wenn ich ihren schlussendlichen „Lösungsansatz“ etwas
überzogen fand; zudem erschien sie mir mit etwas zuviel Kalkül und
Raffinesse ausgestattet. Das passte zwar einerseits zur knallharten
Geschäftsfrau, als welche sie sich später entpuppte, aber nicht so
recht in diese Regenbogenpressewelt, da Jacquelines Pläne eigentlich
auch immer aufgingen. Teilweise fragte ich mich da schon, warum die
Boulevardmedien manchmal nicht noch etwas kräftiger im Dreck gewühlt
haben. Denn prinzipiell passierte hinter Linas Rücken nichts, was
sie nicht so beabsichtigt gehabt hätte. Da erschien mir die
Geschichte manchmal doch etwas zu glatt – man muss Jacqueline aka
Lina aber auch zugute halten, dass sie sich des Öfteren auch selbst
wunderte, wie reibungslos manche Aktionen über die Bühne gingen.
Demzufolge weitere Erkenntnis: Boulevardjournalisten sind häufig
noch viel blöder als „nichtsnutzige C-Promis“.
Alles in Allem habe ich „Hochgefickt“
sehr gerne gelesen. Wie gesagt: Der Titel ist hier nicht Programm.
Lina ist zwar sexuell kein Kind von Traurigkeit, aber ihre
tatsächlichen Sexualpartner bleiben unbekannt. Es kann also keine
Rede davon sein, dass sie sich hochgeschlafen hätte, da ihre
Liebschaften medial einfach keinen Einfluss haben. Schon irgendwie
amüsant, was sich hinter „die hat sich doch nur zur Spitze
durchgesext“-Gerede tatsächlich so verbergen kann/könnte.
Nathalie Bergdolls „Hochgefickt“
ist ein kurzweiliger Unterhaltungsroman, der wohl alle Leser
amüsieren dürfte, die der Demontage von Boulevardmedien prinzipiell
zugetan sind – und die sich in ihrer Ansicht, dass das doch eh
alles nur ein falscher Riesenzirkus ist, bestätigt fühlen wollen.
(Diese Lektüre lässt sich übrigens
ganz gut mit dem allerdings doch deutlich seichteren „Champagnerund Stilettos“ von Lauren Weisberger kombinieren!)
8,3 von 10 Rauschmitteln
Buch-Info
"Hochgefickt", Nathalie
Bergdoll / Verlag: Tag & Nacht / ISBN-10: 3442830001
/ ISBN-13: 978-3442830008
/ 320 Seiten / 14,99€ (Taschenbuch) / 11,99 (ebook)
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