Sonntag, 14. Oktober 2012

Wiebke Lorenz: "Alles muss versteckt sein"

Anne Hertz, das gemeinsame Pseudonym der Schwestern Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz, ist mir als Autorin von typischer Frauen-Literatur bereits bekannt. Per Zufall geriet ich nun an den Thriller „Alles muss versteckt sein“, dessen Kurzbeschreibung mich ansprach, dass ich diesen Roman einfach lesen musste. Die Autorin von „Alles muss versteckt sein“ ist Wiebke Lorenz: ich hatte zunächst gar nicht auf den Namen des Verfassers geachtet, aber irgendwann fiel er mir dann doch ins Auge. Wiebke Lorenz: das ist doch eine Hälfte von Anne Hertz, oder nicht? Nachdem ich „Alles muss versteckt sein“ ausgelesen hatte, wurde flugs gegooglet: in der Tat handelt es sich bei der Autorin um die Wiebke Lorenz aus dem Hertzschen Schwesterngespann. Dabei ist „Alles muss versteckt sein“ aber absolut nicht mit den Romanen von Anne Hertz zu vergleichen.



„Alles muss versteckt sein“: nur gedacht oder doch auch getan? 


Marie sitzt als verurteilte Mörderin in der Psychiatrie: nach dem tragischen Unfalltod ihrer Tochter entwickelte sie dereinst Zwangsgedanken. Plötzlich sah sie ständig vor sich, wie sie Personen in ihrem Umfeld angriff und verspürte währenddessen einen unbändigen Drang nach dieser Gewalt. Da sie sich selbst als Gefahr ansah, zog sie sich komplett zurück… In einem Selbsthilfeforum fand sie in der Userin Elli eine verständnisvolle Freundin, die ebenfalls an Zwangsgedanken litt und Marie sehr half, mit ihren Gedanken und Ängsten umzugehen: „Denken ist nicht Tun.“ wurde zum grossen Motto.
Kurz darauf lernte Marie den erfolgreichen Autor Patrick Gerlach kennen und lieben. Noch immer litt Marie unter Zwangsgedanken, tastete sich aber an Patricks Seite vorsichtig zurück in die Welt, immer mit dem Hintergedanken im Kopf, dass Denken eben nicht Tun bedeutet.

Aber dann wachte Marie plötzlich morgens neben dem brutal mit 27 Messerstichen getöteten Patrick auf, überall war Blut und auf der Tatwaffe ihre Fingerabdrücke… Die fassungslose Marie, die sich an die vergangene Nacht überhaupt nicht mehr erinnern konnte, wurde aufgrund der eindeutigen Situation davon überzeugt, ihren Partner umgebracht zu haben. Der Gerichtsprozess braxchte sie letztlich in die Psychiatrie…

… Nun sitzt Marie dort, noch immer ohne jede Erinnerung und noch immer fassungslos, dass Denken doch auch Tun bedeuten soll. Als sie beschliesst, den Gesprächseinladungen des Klinikpsychologen doch Folge zu leisten und die Geschehnisse bis zur Mordnacht zu rekonstruieren, wachsen nicht nur in ihr Zweifel, dass sie Patrick tatsächlich ermordet hat, obschon die Beweislast erdrückend ist…

„Alles muss versteckt sein“ - Latti hat`s gelesen!


Um es vorwegzunehmen: ich habe es geliebt, „Alles muss versteckt sein“ zu lesen!

„Alles muss versteckt sein“ ist ein sehr atmosphärischer und eindringlicher Thriller: die Szenen, die in der Psychiatrie spielen, empfand ich immer irgendwie verschwommen und surreal (ähnlich wie die Visionen, die Maries Zwangsgedanken in ihr auslösten). Hingegen wirkten die Erzählungen aus Maries früherem Leben, vor der Ermordung Patricks, sehr lebendig und plastisch: irgendwie merkte man hier den Unterschied zwischen „eingesperrt“ und „frei“ bereits in der Schreibweise.

„Alles muss versteckt sein“ wird aus ständig wechselnden Perspektiven erzählt: mal berichtet Marie ihrem Arzt im persönlichen Gespräch von ihrem früherem Leben, mal werden Tagebucheinträge aus der damaligen Zeit wiedergegeben und dann wird mitunter auch mal ganz neutral von früher erzählt und zwar so als sei das „damals“ das „heute“. Dabei erfolgen die Perspektivwechsel zwar flüssig, aber irritieren nicht: als Leser weiss man immer, wann man just wo ist. Zudem wird Maries Leben vor der Psychiatrie auch „am Stück“ erzählt und nur durch Psychiatrie-Szenen unterbrochen, d.h. es wird nicht plötzlich fünf Jahre zurückgegangen, um dann wieder drei Jahre vorzupreschen, um auf Begebenheiten von vor sieben Jahren zurückzukommen.
Die Handlung ist zwar grundsätzlich komplett anders, aber vom Spannungsfaden und mitunter auch von der Schreibweise her hat mich „Alles muss versteckt sein“ von Wiebke Lorenz doch sehr an beispielsweise „Seelenbrecher“ von Sebastian Fitzek erinnert; ich denke, wer die fitzoresken Thriller liebt, kann auch „Alles muss versteckt sein“ nur mögen.

„Alles muss versteckt sein“ war nun wieder eines der Bücher, die ich einfach nicht aus der Hand legen konnte: dabei nervten mich während des Lesens in diesem Fall gar keine Längen (einfach weil es keine gab), auch wenn ich zugeben muss, dass mir der Schlussteil dann doch etwas zu dramatisch daherkam und in krassem Kontrast zur restlichen Erzählung stand. Dabei habe ich an der letztlichen Auflösung (die zudem noch mit einer Überraschung aufwartete) aber nichts auszusetzen: prinzipiell thematisiert „Alles muss versteckt sein“ das berühmt-berüchtigte perfekte Verbrechen und wenn man sich als Leser eingestehen muss, dass dies so tatsächlich funktionieren könnte, muss man dem Autor, in diesem Falle also Wiebke Lorenz, automatisch auch Respekt für diesen Einfall zollen.

Ungemein interessant fand ich auch Maries Zwangsgedanken. Mir waren diverse Neurosen und Zwangserkrankungen bereits längst bekannt, aber ich wusste bis „Alles muss versteckt sein“ gar nicht, dass es auch solcherlei Zwangsgedanken als Krankheit gibt. In jedem Fall hätte ich mir ohne „Alles muss versteckt sein“ die Ausmasse solcher Zwangsgedanken aber auch kaum wirklich vorstellen können…
Da gab es dann innerhalb der Erzählung auch Momente, die mich zum Nachdenken brachten: so arbeitet Marie als Erzieherin. Nun entwickelte ich während des Lesens zwar Verständnis für Marie und ihre Krankheit, überlegte letztlich aber auch: „Wenn ich weiss, dass die hiesige Erzieherin unter solch brutalen Zwangsgedanken leidet und sich vorstellt, dass sie Kinder erwürgt, würde ich mein Kind dann in ihre Obhut geben, auch wenn ich weiss, dass die betreffende Erzieherin zum Einen nie alleine arbeitet und sich zum Anderen auch in ärztlicher Behandlung aufgrund ihrer Erkrankung befindet?“ Ganz ehrlich: ich weiss nicht, ob mich in jenem Fall der Leitsatz „Denken heisst nicht Tun.“ beruhigen könnte, auch wenn eine solche Erzieherin bestimmt nicht arbeiten dürfte, würde sie eine offensichtliche Gefahr darstellen… Aber da schubste Wiebke Lorenz einen dann doch in eine sehr grüblerische Richtung.

Insgesamt hat mich „Alles muss versteckt sein“ schwer begeistert, sogar noch einen kleinen Tick mehr als das zuletzt von mir gefressene „Abgeschnitten“ von Sebastian Fitzek und Michael Tsokos, welches ich letztlich immerhin mit 9 von 10 Rauschmitteln bedachte. Nun werfe ich aber nicht gerne mit Bestbewertungen um mich und wie erwähnt: der Schlussteil gestaltete sich für mich doch etwas zu dramatisch und zu abenteuerlich. Aber ich empfehle diesen Thriller sehr gerne weiter und kleiner Tipp: wer auf der Suche nach einem Geschenk für einen leserattigen Fitzek-Fan zu Weihnachten ist, aber weiss, dass jener Bücherwurm doch ohnehin schon alles von Fitzek kennt, der sollte alternativ durchaus zu Wiebke Lorenz` „Alles muss versteckt sein“ greifen, denn dieser Thriller ist doch schon recht fitzek-ähnlich.

Ich bin grosszügig und vergebe 9,8 von 10 Rauschmitteln! 


Buch-Info

„Alles muss versteckt sein“, Wiebke Lorenz / Karl Blessing Verlag / ISBN-10: 3896674692 / ISBN-13: 978-3896674692 / 352 Seiten / 15,95€ (broschiertes Buch) / ebook-Preis: 12,99€
Preise (vom 14.10.2012) in der Schweiz: ex libris – CHF 18,30 (Printbuch); CHF 14,90 (ebook) / Thalia – CHF 19,40 (Printbuch); CHF 15,90 (ebook) / Weltbild – CHF 22,90 (Printbuch); CHF 15,90 (ebook)

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