Samstag, 13. April 2013

Nathalie Bergdoll: "Hochgefickt"

[Bücher-ABC 2013] „Hochgefickt“ von Nathalie Bergdoll hat mich durch seinen Titel auf sich aufmerksam gemacht: ja, wenn ich mich durch Bücherregale stöbere, fällt mein erster Blick natürlich auf den Titel. Reizt dieser mich, wird das Cover in Augenschein genommen und finde ich dieses stimmig, lese ich den Klappentext. So entdecke ich ca. 90% meiner Lektüre, was bedeutet, dass ich, nachdem ich nun von „Hochgefickt“ erzähle, in den nächsten Tagen wohl noch über einen Roman namens „Hello Kitty muss sterben“ berichten werde.
Von Nathalie Bergdoll hatte ich bis heute übrigens noch nichts weiter gehört; die Autorin war mir gänzlich unbekannt, aber beim heutigen Autoren-Vita-Abgrasen habe ich gelernt, dass man ihr durchaus schon eine gewisse Prominenz zugestehen kann. Der ein oder andere von euch wird also durchaus schonmal von ihr gehört haben, aber ich habe nun nicht das Gefühl, mich schämen zu müssen, weil sie mir auch nach meiner Googelei nicht weiter bekannt vorkommt.

Nathalie Bergdolls Debütroman „Hochgefickt“ trägt zwar diesen durchaus provokativen Titel, der aber mehr lasterhafte Orgien voller Skrupellosigkeit verspricht als tatsächlich im Buch vorkommen: „Hochgefickt“ ist kein schamloser Sexroman oder Ähnliches und mit Charlotte Roches Büchern verglichen quillt „Hochgefickt“ nur so vor Anstand und Moral über. Denn Jacqueline, die Protagonistin, hat sich lediglich offiziell verstohlen geflüstert „hochgefickt“, während sie sich aber tatsächlich ganz raffiniert in die Medienwelt gemogelt hat...


„Hochgefickt“ - nee, war doch ganz anders!

Jacqueline Grosse ist weitgehend im Friseursalon der Mutter in der Eifel aufgewachsen, wo sie, fasziniert vom dort ausliegenden bunten Blätterwelt, schnell davon überzeugt war, es auch in diese Boulevardmedien schaffen zu wollen. Dank ihrer ausgeprägten Intelligenz verstand sie schnell, dass ihre ausgeprägten Merkmale ihr hierfür von Nutzen sein – und dass Gerüchte durchaus hilfreich sein könnten... So wird sie nach ihrem Abitur von der Schützenkönigin zur Werbeartikelverteilerin auf der Tour einer just populären Band, die erst zur Freundin und dann zur Ex-Freundin eines der Musiker wird – bis aus Jacqueline letztlich Lina Legrand, besser bekannt als „Luder-Lina“, wird, der von der yellow press ein ausschweifendes, zügelloses Sexualleben bescheinigt wird, die laut Schlagzeilen nur allzu bereitwillig mit den Grossen und Mächtigen in die Kiste hüpft. Lina nutzt die, zumeist von ihr sorgfältig gestreuten, Gerüchte, um ihre eigene Karriere kräftig anzustupsen. An der Seite eines Fussballers wird sie zu einem der grossen Lieblinge der Medien, aber als sie mitunter die Schlagzeilen beherrscht, merkt sie, wie das oberflächliche und falsche Getue des Medienmilieus sie immer mehr anödet und verliebt sich zudem auch noch in einen „No-Name“, aber wie soll aus der skandalträchtigen Sexbombe nur wieder das normale Mädchen von nebenan werden und von was soll sie zukünftig ihren Lebensunterhalt bestreiten? Ein ausgeklügelter Ausstiegsplan muss her, aber wie schon gesagt: Jacqueline Grosse ist eine intelligente Frau...

„Hochgefickt“: Latti hat`s gelesen

Okay, die Autorin besitzt trotz meiner Unwissenheit offensichtlich eine gewisse Medienpräsenz, aber allzu autobiografisch scheint „Hochgefickt“ dann doch nicht zu sein. Wenn es Lina Legrand gibt, ist sie meiner Meinung nach nicht identisch mit Nathalie Bergdoll, denn Lina Legrand erlangt letztlich national echte Berühmtheit. Die Geschichte spielt in den 90ern und insgesamt ist Lina Legrand eine ziemliche Mischung aus Jenny Elvers und Verona Feldbusch, mit Einschlägen diverser „It-Girls“ der damaligen und heutigen Zeit. Im Vorwort versichert Autorin Nathalie Bergdoll, dass die Geschichte keinen Anspruch auf Echtheit erhebt, lässt aber durchblicken, dass es die meisten Promis, welche hier auftauchen, tatsächlich gibt, diese aber in Sachen Namen, Beruf, Aussehen, spezielle Eigenheiten etc. wild durchmischt worden sind. Das führt dazu, dass man ständig überlegt (und zumeist auch gleich zu wissen meint), welcher Promi mit welcher Figur gemeint ist – und dass man sich teils auch wundert, weil man jemanden sicher zu enttarnt haben meint, sich den so privat aber anders vorgestellt hätte. Manchmal nickt man aber auch, weil man sich in seinem „Boah, was ein Idiot!“-Vorurteil bestätigt sieht.
Lediglich im Fall der rappenden Girlie-Band mit Rotlicht-Vergangenheit und erhängtem Ehemann, welche mit einer sagen-/skandalumwobenen Pressekonferenz Furore machte, war es mehr als offensichtlich, dass hiermit Tic Tac Toe gemeint waren. Aha-Effekt: Lina Legrand bestätigt hier durch die Blume, dass die ganzen Skandale um die Pressekonferenz herum sorgfältig inszeniert und jede „Enthüllung“ geplant war...

Ohnehin könnte „Hochgefickt“ ebensogut „1000 Gründe, die Boulevardpresse komplett zu ignorieren“ oder „Die yellow press verbreitet prinzipiell nie die Wahrheit“ oder ähnlich heissen. So stellt Lina Legrand noch als kleine Jacqueline im mütterlichen Friseursalon fest, dass die Kundschaft sich mit Vorliebe das Maul über die Personen zerreisst, die in den bunten Blättern auftauchen, erst von Neid auf deren Luxusleben geprägt und später gerne von Häme, wenn es den VIPs dann mal schlechter geht... Dementsprechend ist die grosse Lina später lapidar der Meinung, dass man denen, die schon recht viel Geld für so ein Klatschblatt ausgeben, doch auch etwas für ihren Sozialneid bieten muss – und lügt die Medien einfach mal an, die ihren Konsumenten später eine noch viel grössere Lüge auftischen.
Die Boulevardpresse kommt hier denkbar schlecht weg; wie gesagt: die Handlung spielt in den 90ern und in dieser Zeit ist nunmal auch Lady Di gestorben. Da spricht Lina, die in „Hochgefickt“ dem Leser ihre persönliche Geschichte erzählt, auch mehrmals offen an, wie verlogen es doch von den Medien war, eine Diskussion darüber anzuzetteln, wie intensiv man über Prominente berichten dürfte, nachdem der Wagen der Prinzessin doch auf der Flucht vor Paparazzi verunglückt sei – wohlgemerkt: vor Paparazzi, die von ebendiesen Medien erst mit einem Heidengeld entlohnt werden... Darüber sprach natürlich niemand: sowas tun doch prinzipiell immer nur die Anderen.

Insgesamt bietet „Hochgefickt“ aber einen guten Einblick in den schönen hässlichen Schein der Medienwelt: Lina erklärt haarklein, wie ihre jahrelange Traumbeziehung mit dem Fussballstar von vorne bis hinten inszeniert war, ohne dass je Zweifel an deren Authenzität laut wurden; wie man ihr nahelegte, sich einen kleinen „Fehler“ wie Lispeln nahezulegen, damit man sie prinzipiell unterschätzen würde (tatsächlich erlebt sie später einen ziemlichen Triumph als sie zum ersten Mal grammatikalisch korrekt spricht) und es wird besonders skurril, als sie öffentlich einen Schönheitschirurgen für dessen gute Arbeit lobt, obschon sie sich nie hat operieren lassen, aber an die Echtheit ihrer Oberweite glaubt eh niemand... Es wird quasi offensichtlich, dass der Grossteil der Prominenz eh nur auf Lügen und Unterstellungen beruht; Gerüchten, die einer über den Anderen streut. Was Glamour und Glitter angeht, ist es doch sehr desillusionierend...
Im gesamten Roman gibt es eigentlich unter den Stars und Sternchen niemanden, der wirklich etwas kann, sondern fast nur Menschen der Sorte „so tun als ob“. Echt wirken hier nur die Leute ganz hinten hinter den Kulissen, die, die es nie die Schlagzeilen schaffen, was Linas Meinung vonwegen „man muss den Leuten da draussen nur ne grandiose Show bieten“ vollends bestätigt und meiner Meinung nach ein wenig beängstigend ist. Denn ich glaube, dass sich hier auch im letzten Jahrzehnt nicht wirklich was geändert hat: aber wollen wir wirklich so oberflächlich sein, dass es uns nur interessiert, wie sich irgendjemand gibt, aber nicht, wie er tatsächlich ist? Wieso lästern wir beim Friseur lieber über uns eigentlich total fremde Menschen aus dem bunten Blätterwald anstatt uns mit ihm über das Stadtfest zu unterhalten (oder ziehen über die angeblich ach so miesen Arbeitsbedingungen bei Amazon her anstatt ihn zu fragen, wie hoch denn sein Stundenlohn ist)?

Von daher erzählt „Hochgefickt“ zwar in erster Linie eine sehr oberflächliche Geschichte, zeigt aber auch auf, welche Abgründe sich hinter dieser medial werbeträchtitg aufgearbeiteten Oberflächlichkeit verbergen. Durch ihre offene Art wurde mir Jacqueline im Laufe der Geschichte immer sympathischer, auch wenn ich ihren schlussendlichen „Lösungsansatz“ etwas überzogen fand; zudem erschien sie mir mit etwas zuviel Kalkül und Raffinesse ausgestattet. Das passte zwar einerseits zur knallharten Geschäftsfrau, als welche sie sich später entpuppte, aber nicht so recht in diese Regenbogenpressewelt, da Jacquelines Pläne eigentlich auch immer aufgingen. Teilweise fragte ich mich da schon, warum die Boulevardmedien manchmal nicht noch etwas kräftiger im Dreck gewühlt haben. Denn prinzipiell passierte hinter Linas Rücken nichts, was sie nicht so beabsichtigt gehabt hätte. Da erschien mir die Geschichte manchmal doch etwas zu glatt – man muss Jacqueline aka Lina aber auch zugute halten, dass sie sich des Öfteren auch selbst wunderte, wie reibungslos manche Aktionen über die Bühne gingen. Demzufolge weitere Erkenntnis: Boulevardjournalisten sind häufig noch viel blöder als „nichtsnutzige C-Promis“.

Alles in Allem habe ich „Hochgefickt“ sehr gerne gelesen. Wie gesagt: Der Titel ist hier nicht Programm. Lina ist zwar sexuell kein Kind von Traurigkeit, aber ihre tatsächlichen Sexualpartner bleiben unbekannt. Es kann also keine Rede davon sein, dass sie sich hochgeschlafen hätte, da ihre Liebschaften medial einfach keinen Einfluss haben. Schon irgendwie amüsant, was sich hinter „die hat sich doch nur zur Spitze durchgesext“-Gerede tatsächlich so verbergen kann/könnte.
Nathalie Bergdolls „Hochgefickt“ ist ein kurzweiliger Unterhaltungsroman, der wohl alle Leser amüsieren dürfte, die der Demontage von Boulevardmedien prinzipiell zugetan sind – und die sich in ihrer Ansicht, dass das doch eh alles nur ein falscher Riesenzirkus ist, bestätigt fühlen wollen.
(Diese Lektüre lässt sich übrigens ganz gut mit dem allerdings doch deutlich seichteren „Champagnerund Stilettos“ von Lauren Weisberger kombinieren!)

8,3 von 10 Rauschmitteln



Buch-Info

"Hochgefickt", Nathalie Bergdoll / Verlag: Tag & Nacht / ISBN-10: 3442830001 / ISBN-13: 978-3442830008 / 320 Seiten / 14,99€ (Taschenbuch) / 11,99 (ebook)
Preise (vom 13.04.2013) in der Schweiz: ex libris – CHF 17,50 (Taschenbuch); CHF 13,90 (ebook) / Thalia – CHF 27,50 (gebunden); CHF 14,90 (ebook) / Weltbild: wird nicht im Sortiment geführt

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